Internationales Scheidungsrecht
Eine Scheidung hat einen Auslandsbezug, wenn zumindest einer der Ehegatten eine ausländische Staatsangehörigkeit hat oder sein gewöhnlicher Aufenthalt im Ausland liegt.
Dann stellt sich z. B. die Frage, welches Scheidungsrecht anzuwenden ist, und ob eine Scheidung, die in Deutschland erfolgte, in anderen Mitgliedsstaaten der EU, z. B. Österreich, oder in Drittstaaten wie der Schweiz oder Liechtenstein anerkannt wird. Zunächst aber ist immer zu prüfen, ob die deutschen Gerichte überhaupt zuständig sind.
1) Internationale Zuständigkeit
Aus Sicht eines deutschen Gerichts ist hier vor allem die EuEheVO maßgeblich, die Europäische Eheverordnung, die auch als Brüssel IIb-VO bezeichnet wird.
Der vollständige Name dieser Verordnung ist sehr viel länger und lässt bereits erkennen, was in ihr geregelt ist: "Verordnung (EU) 2019/111 des Rates über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen."
Die Brüssel IIb-VO gilt für Scheidungsverfahren, die ab 01.08.2022 eingeleitet wurden, ihre Vorgängerin, die Brüssel IIa-VO, die ab 01.03.2005 galt, ist nur noch bei Altfällen von Bedeutung, etwa für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Verfahren, die bis 31.07.2022 eingeleitet wurden.
Die Brüssel IIb-VO gilt in allen EU-Mitgliedstaaten, mit Ausnahme von Dänemark und seit 01.01.2021 auch nicht mehr im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland.
Alle anderen EU-Mitgliedstaaten wenden die EuEheVO bzw. Brüssel IIb-VO an, ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit oder den gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten, auch in Scheidungsverfahren, an denen nur Nicht-EU-Bürger beteiligt sind, wie z. B. zwei Schweizer, oder in denen die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Staaten haben, die nicht der Europäischen Union angehören. Die EuEheVO wird universell angewendet, ein spezieller EU-Bezug ist also nicht erforderlich.
Ob die Brüssel IIb-VO auch für die Scheidung einer gleichgeschlechtlichen Ehe gilt, ist nicht sicher, weil sie den Begriff "Ehe" nicht definiert. Bisher scheinen die Gerichte in den meisten EU-Mitgliedstaaten von der traditionellen Ehe auszugehen. Was die internationale Zuständigkeit angeht, wäre für die Scheidung gleichgeschlechtlicher Ehen dann nicht das europäische, sondern das jeweilige nationale Zivilverfahrensrecht maßgeblich, in Deutschland wäre § 98 FamFG einschlägig.
Für die Aufhebung eingetragener gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften, die in Deutschland seit der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe zum 01.10.2017 nicht mehr neu begründet werden können, gilt die EuEheVO in keinem Fall, hier richtet sich die internationale Zuständigkeit nach § 103 FamFG.
In Deutschland werden im Scheidungsverfahren häufig noch weitere Gegenstände geregelt, sei es, weil das Gesetz dies ausdrücklich vorschreibt, wie beim Versorgungsausgleich, oder weil die Ehegatten es beantragen, z. B. in Bezug auf den nachehelichen Unterhalt oder das Güterrecht. Ob das Gericht auch für diese Folgesachen international zuständig ist, muss jeweils gesondert geprüft werden, die EuEheVO erfasst nur die Scheidung als solche sowie bestimmte Kindschaftssachen.
2) Die einzelnen Anknüpfungspunkte
Dass ein deutsches Gericht für ein Scheidungsverfahren international zuständig ist, ergibt sich in der Regel schon aus Art. 3 EuEheVO bzw. Brüssel IIb-VO.
Dort finden sich sieben gleichrangige Alternativen, es reicht, wenn eine der dort beschriebenen Konstellationen vorliegt, eine bestimmte Prüfungsreihenfolge ist nicht einzuhalten.
Die ersten sechs knüpfen jeweils an den gewöhnlichen Aufenthalt eines oder beider Ehegatten an, teilweise auch daran, ob nur ein Ehegatte oder beide den Antrag stellen, oder ob der Antragsteller die Staatsangehörigkeit des EU-Mitgliedstaats besitzt, in dem sich das angerufene Gericht befindet.
Beispiel 1: Die Ehegatten hatten womöglich eine Zeitlang im Ausland gelebt, nun leben beide in Deutschland, z. B. einer in München und einer in Köln, die deutschen Gerichte sind für das Scheidungsverfahren international zuständig (welches Gericht innerhalb von Deutschland zuständig ist, muss separat geprüft werden).
Beispiel 2: Beide lebten zunächst in Deutschland, einer von ihnen blieb hier, der andere zog ins Ausland - auch hier sind die deutschen Gerichte international zuständig.
Beispiel 3: Der Antragsteller lebt im Ausland, der Antragsgegner in Deutschland - die deutschen Gerichte sind zuständig.
Beispiel 4: Einer der Ehegatten lebt in Deutschland, der andere im Ausland: beide beantragen unabhängig von einander, aber beide aus demselben Grund die Scheidung, oder nur einer von ihnen beantragt sie, und der andere Ehegatte stimmt diesem Antrag zu - in beiden Varianten sind die deutschen Gerichte zuständig.
Beispiel 5: Die Ehegatten lebten im Ausland, einer von ihnen zieht nach Deutschland und reicht hier nach einem Jahr die Scheidung ein - die deutschen Gerichte sind zuständig.
Beispiel 6: Beide lebten im Ausland, einer von ihnen besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit, zieht nach Deutschland und reicht hier sechs Monate später die Scheidung ein, auch hier sind die deutschen Gerichte zuständig, aufgrund der deutschen Staatsangehörigkeit des Antragstellers ein halbes Jahr früher als in Beispiel 5.
Beispiel 7: Jeder von ihnen besitzt zumindest auch die deutsche Staatsangehörigkeit - die deutschen Gerichte sind zuständig, selbst wenn beide Ehegatten im Ausland leben oder sie mit einem anderen Staat, dessen Staatsangehörigkeit sie ebenfalls besitzen, aufgrund der persönlichen Lebensumstände enger verbunden sind.
Für alle Beispiele gilt: Wenn die deutschen Gerichte einmal zuständig waren und die Antragsschrift an den anderen Ehegatten zugestellt worden ist, bleibt die Zuständigkeit erhalten, auch wenn die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt verlegen, z. B. wieder ins Ausland ziehen, oder ihre Staatsangehörigkeit wechseln.
3) Parallelverfahren in zwei EU-Mitgliedstaaten
Aufgrund der Gleichrangigkeit dieser sieben Alternativen kann es passieren, dass Gerichte verschiedener EU-Mitgliedstaaten in derselben Ehesache international zuständig sind.
Ehegatten bleibt dann die Wahl, in welchem der prinzipiell zuständigen EU-Mitgliedstaaten sie ein Scheidungsverfahren einleiten. Dabei kann es zu doppelten Verfahren kommen, entweder weil der eine Ehegatte noch nichts von dem anderen Verfahren weiß oder weil er ihm bewusst zuvorkommen will, um sich Vorteile zu verschaffen.
Beispiel: Der Ehemann besitzt die österreichische Staatsangehörigkeit, sie die deutsche, beide lebten zuletzt in Deutschland. Nach der Trennung kehrt er nach Österreich zurück, sie bleibt in Deutschland. Er könnte frühestens nach sechs Monaten in Österreich ein Scheidungsverfahren einleiten (Art. 3 lit. a (vi) EuEheVO). Die Ehefrau ist daran interessiert, das Verfahren in Deutschland durchzuführen, das kann sie erreichen, wenn sie ihn "überholt" und ihren Antrag früher einreicht (Art. 3 lit (ii) EuEheVO).
Sobald das später angerufene Gericht erfährt, dass in einem anderen EU-Mitgliedstaat bereits ein Scheidungsverfahren anhängig sein könnte, wird es sein Verfahren aussetzen, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts geklärt ist (Art. 20 Abs. 1 EuEheVO). Die Aussetzung selbst ist nicht in der EuEheVO geregelt, für sie gelten die Vorschriften des nationalen Prozessrechts, in Deutschland wäre es § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG in Verbindung mit § 148 ZPO analog.
Das später angerufene Gericht hat nicht zu prüfen, ob die in dem anderen Verfahren zu erwartende Entscheidung anzuerkennen ist, nach Art. 30 Abs. 1 EuEheVO sind in einem EU-Mitgliedstaat ergangene Entscheidungen in allen anderen Mitgliedstaaten ohne ein besonderes Verfahren anzuerkennen.
Wenn es den Ehegatten wichtig ist, dem jeweils anderen zuvorzukommen, kann es auf den genauen Zeitpunkt ankommen, zu dem die beiden Verfahren eingeleitet wurden:
Nach deutschen Prozessrecht ist grundsätzlich "Rechtshängigkeit" erforderlich (§ 261 Abs. 1 ZPO), und die entsteht nicht schon mit der Einreichung der Antragsschrift beim Gericht, sondern erst mit ihrer Zustellung an den Antragsgegner (§ 253 Abs. 1 ZPO). Dabei kann es gerade bei Verfahren mit Auslandsbezug zu Verzögerungen kommen.
Unter der Geltung der EuEheVO ist es für den Antragsteller leichter, hier genügt bereits die "Anrufung" des Gerichts, und sie richtet sich nicht nach dem jeweiligen nationalen Recht, sondern wird in Art. 17 lit. a EuEheVO autonom definiert. Danach gilt ein Gericht als angerufen, sobald die Antragsschrift bei Gericht eingereicht wurde, und das erfolgt heute oft elektronisch, etwa in Deutschland durch den mit der Einleitung des Scheidungsverfahrens beauftragten Rechtsanwalt.
Auf diese Weise lässt sich im Nachhinein häufig auf die Minute genau feststellen, welche der beiden Antragsschriften früher eingereicht wurde.
4) Parallelverfahren in einem EU- und einem Nicht-EU-Mitgliedstaat
Wird das eine Scheidungsverfahren in einem EU-Mitgliedstaat eingeleitet und das andere in einem Drittstaat, wie z. B. der Schweiz oder Liechtenstein, lässt sich die Konkurrenz selbst aus deutscher Sicht nicht über Art. 20 EuEheVO auflösen, weil diese Norm ausdrücklich von "verschiedenen (EU-)Mitgliedstaaten" spricht.
Ein deutsches Gericht müsste in einem solchen Fall prüfen, ob die Voraussetzungen der "Rechtshängigkeitssperre" nach § 261 Abs. 3 ZPO erfüllt sind, danach kann eine Streitsache während der Dauer der Rechtshängigkeit von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden. Diese "Rechtshängigkeit" setzt im deutschem Recht wie gesagt mehr voraus als die bloße Anrufung des Gerichts, sie tritt erst ein, wenn die Antragsschrift an den Antragsgegner zugestellt wurde (§ 253 Abs. 1 ZPO).
Dieses deutsche Verständnis von "Rechtshängigkeit" darf nun aber nicht einfach auf Verfahren in Drittstaaten wie z. B. der Schweiz übertragen werden. Das deutsche Gericht muss vielmehr in Erfahrung bringen, was das jeweilige ausländische Recht für den Eintritt von Rechtshängigkeit verlangt. Das lässt sich am Leichtesten an einem konkreten Fall zeigen, bei dem der deutsche Bundesgerichtshof in Bezug auf zwei konkurrierende Scheidungsverfahren in der Schweiz und Deutschland zu entscheiden hatte.
Die Ehegatten hatten in der Schweiz geheiratet und dort gelebt, der Ehemann war Deutscher, die Ehefrau Schweizerin. Nach der Trennung kehrte er nach Deutschland zurück und reichte am 14.08.1984 beim Familiengericht in Köln einen Scheidungsantrag ein. Nach damaligen deutschem Recht waren die deutschen Gerichte international zuständig, weil der Ehemann die deutsche Staatsangehörigkeit besaß. Erst am 16.10.1984 konnte sein Scheidungsantrag an die in der Schweiz lebende Ehefrau zugestellt werden.
Sie hatte währenddessen in der Schweiz ebenfalls einen Scheidungsantrag eingereicht, am 03.09.1984 beim Kantonsgericht Zug. Das nahm das Familiengericht in Köln zum Anlass, den Scheidungsantrag des Ehemannes als unzulässig zurückzuweisen, das Scheidungsverfahren in der Schweiz sei früher eingeleitet worden.
Der Ehemann wehrte sich und zog die Sache bis zum Bundesgerichtshof, im Ergebnis ohne Erfolg (BGH, 18.03.1987, IVb ZR 24/86):
Ob und wann Rechtshängigkeit im Ausland eingetreten sei, sei nach dem Verfahrensrecht des ausländischen Gerichts zu beurteilen. Damit werde die Frage, bei welchem Gericht die Sache zuerst rechtshängig geworden sei, von beiden Gerichten gleich beantwortet ("internationaler Entscheidungsgleichklang"). Das wiederum diene dem Ziel, eine Partei vor der "Belästigung durch einen zweiten Prozess zu bewahren und widersprechende Gerichtsentscheidungen zu vermeiden."
Für das von der Ehefrau eingeleitete Scheidungsverfahren sei das Prozessrecht des Kantons Zug maßgeblich, und danach trete Rechtshängigkeit bereits mit der Einreichung des Scheidungsantrags beim Kantonsgericht ein. Auch die übrigen Voraussetzungen der deutschen "Rechtshängigkeitssperre" seien erfüllt:
Sie verlange zusätzlich die Identität der Parteien und des Streitgegenstandes (§ 261 Abs. 3 Satz 1 ZPO), beides sei gegeben: in beiden Verfahren gehe es um die Scheidung der Ehe, die wechselnden Parteirollen - in der Schweiz sei sie Antragstellerin, in Deutschland er Antragsteller -, seien unbeachtlich.
Der letzte Punkt, den der Bundesgerichtshof zu prüfen hatte, war die "positive Anerkennungsprognose". Dabei ist zu fragen, ob die zu erwartende schweizerische Entscheidung in Deutschland voraussichtlich anzuerkennen sei. Bezogen auf die Schweiz standen damals zwei Maßstäbe zur Verfügung:
Zum einen das am 02.11.1929 geschlossene und jeweils am 01.12.1930 in Kraft getretene "Abkommen zwischen dem Deutschen Reich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen" (Deutsch-Schweizer Abkommen), und zum anderen § 328 ZPO, der aus deutscher Sicht regelt, wann die Anerkennung einer Entscheidung eines ausländischen Gerichts ausgeschlossen ist.
Dabei sei in erster Linie auf das Abkommen abzustellen, das autonome deutsche Anerkennungsrecht greife aber auffangweise ein, wenn es sich im Vergleich zum Abkommensrecht als "anerkennungsfreudiger" erweise. Solche Abkommen sollten der Erleichterung, nicht der Erschwerung der Anerkennung dienen.
Art. 3 des Deutsch-Schweizer Abkommens verlange, dass Schweizer Gerichte nach deutschem Recht - spiegelbildlich betrachtet - international zuständig seien. Das sei der Fall, weil die Ehegatten ihren letzten gemeinsamen Aufenthalt in der Schweiz gehabt hätten. Das entsprach dem damaligen deutschen Zivilprozessrecht, wonach auch deutsche Gerichte in Ehesachen zuständig waren, wenn beide Ehegatten "ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland" hatten (§ 606a Abs. 1 Nr. 2 ZPO aF).
Dass die Schweizer Entscheidung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 des Deutsch-Schweizer Abkommens gegen die deutsche öffentliche Ordnung verstoße, sei nicht zu erwarten.
Die Anerkennung könne auch nicht an Art. 4 Abs. 3 des Deutsch-Schweizer Abkommens (Beteiligungsrechte des Beklagten) scheitern, da sich der in Deutschland lebende Ehemann sowohl selbst als auch über seinen in der Schweiz ansässigen Rechtsanwalt auf das dortige Scheidungsverfahren eingelassen habe.
Zu erwägen sei allenfalls, ob das Schweizer Gericht im Sinne von Art. 4 Abs. 2 des Deutsch-Schweizer Abkommens zum Nachteil des Ehemannes andere als nach deutschem Recht anzuwendende Gesetze zugrunde lege. Eine solche kollisionsrechtliche Benachteiligung könne aber dahinstehen, weil auffangweise auf das autonome deutsche Anerkennungsrecht, also auf § 328 ZPO zurückzugreifen sei, der eine vergleichbare Anerkennungsschranke jedenfalls heute nicht mehr kenne.
Nach alledem stehe einem Scheidungsverfahren in Deutschland die Rechtshängigkeit der Scheidungssache bei einem Schweizer Gericht entgegen.
5) Örtliche Zuständigkeit in Deutschland
Wenn es kein Scheidungsverfahren im Ausland gibt, das früher eingeleitet wurde, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, welches Gericht in Deutschland zuständig ist.
Ehesachen sind "Familiensachen" (§ 23a Abs. 1 Nr. 1 GVG), über diese entscheiden in erster Instanz immer die Amtsgerichte. Das "Familiengericht" ist nur die interne Bezeichnung innerhalb des Amtsgerichts, für die Abteilung, die für alles zuständig ist, was irgendwie mit Ehe oder Familie zu tun hat (§ 111 FamFG).
Welches Amtsgericht örtlich zuständig ist, also in welcher Stadt in Deutschland die Scheidung durchzuführen ist, ergibt sich meist aus § 122 FamFG. Dieser enthält eine Rangfolge von sieben Anknüpfungspunkten, es besteht anders als bei Art. 3 EuEheVO kein Wahlrecht, es muss also immer von oben nach unten geprüft werden.
Bei den ersten beiden Konstellationen ist zu fragen, bei welchem Ehegatten die gemeinsamen minderjährigen Kinder leben, entweder alle oder ein Teil von ihnen.
Dass auf den Aufenthaltsort der Kinder abgestellt wird, ist auf den ersten Blick überraschend, weil Kinder mit dem Scheidungsverfahren ihrer Eltern eigentlich nichts zu tun haben. Der Gesetzgeber hat aber auch an den Fall gedacht, dass sich während des Scheidungsverfahrens das Bedürfnis einer Regelung des Sorgerechts oder Umgangs ergibt, dann sollen nicht verschiedene Gerichte und Jugendämter zuständig sein, sondern das Gericht, bei dem das Scheidungsverfahren läuft.
Lebt ein Teil der minderjährigen Kinder beim anderen Ehegatten, so lässt sich die beabsichtigte Verfahrenskonzentration bei einem Gericht nicht erreichen, damit entfällt dann auch die besondere örtliche Zuständigkeit, die auf den Aufenthaltsort der Kinder abstellt. Wobei für die Fälle mit Auslandsbezug wiederum eine Ausnahme zu machen ist:
Lebt ein Ehegatte mit einem Teil der minderjährigen Kinder in Deutschland, und der andere Ehegatte mit den übrigen Kindern im Ausland, so bleibt es bei der Anwendbarkeit von § 122 Nr. 2 FamFG, anders ausgedrückt: es zählen nur die Kinder, die schon bei Einleitung des Scheidungsverfahrens in Deutschland leben.
An dritter Stelle findet sich z. B. der Fall, dass zumindest einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in dem Gerichtsbezirk hat, in dem beide Ehegatten bis zur Trennung ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten. Es ist nicht erforderlich, dass dieser Ehegatte durchgehend dort geblieben ist, es reicht, dass er zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit, also bei Zustellung seines Scheidungsantrages an den anderen Ehegatten, wieder dort lebt. Erfasst wird aber auch der Fall, dass die Ehegatten früher in Deutschland lebten, danach z. B. in der Schweiz und sich dort trennten. Kehrt einer von ihnen in den früheren Gerichtsbezirk zurück, ist das dortige Amtsgericht zuständig.
Wenn keine der drei vorgenannten Konstellationen gegeben ist, ist auf der vierten Stufe zu prüfen, ob der Antragsgegner zum Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Sollte das der Fall sein, wäre der Scheidungsantrag an seinem aktuellen Wohnort einzureichen.
Sollte der Antragsgegner im Ausland leben, und der Antragsteller weiterhin oder erneut in Deutschland, so ist dessen Wohnort entscheidend.
Von dieser fünften Variante werden auch die Fälle erfasst, bei denen unbekannt ist, wo der Antragsgegner lebt, sei es in Deutschland oder im Ausland.
Die sechste Konstellation betrifft den Sonderfall, dass ein Ehegatte bei der Eheschließung das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte.
Die siebte und letzte Variante hat in Scheidungsverfahren mit Auslandsbezug größere Relevanz: Sollten beide Ehegatten im Ausland leben und einer von ihnen in Deutschland die Scheidung einreichen wollen, so kann er das tun, wenn beide zumindest auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (Art. 3 lit. b EuEheVO). In diesem Fall kommt es nicht auf einen früheren Wohnsitz in Deutschland an, örtlich zuständig ist stets das Amtsgericht Schöneberg in Berlin.
Wenn ein Gericht zu Beginn des Scheidungsverfahrens zuständig war, bleibt es dabei, auch wenn sich der gewöhnliche Aufenthaltsort der Ehegatten ändert, sie z. B. in eine andere Stadt oder ins Ausland ziehen. Gleiches gilt, wenn ihre Kinder zum anderen Elternteil wechseln (perpetuatio fori, § 2 Abs. 2 FamFG).
6) Scheidungsvoraussetzungen
Sofern ein Gericht international und örtlich zuständig ist, muss es anschließend ermitteln, welches Scheidungsrecht anzuwenden ist.
Ein einheitliches europäisches Scheidungsrecht existiert bis heute nicht, wohl aber eine europäische Verordnung, mit der z. B. die deutschen Gerichte das im Einzelfall maßgebliche nationale Scheidungsrecht bestimmen können, es ist die am 30.12.2010 in Kraft getretene und in Deutschland seit 21.06.2012 geltende Rom III-VO.
Der vollständige Name dieser Verordnung ist wieder einmal etwas länger und lässt zudem zwei Besonderheiten erkennen: "Verordnung (EU) 1259/2010 des Rates zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts."
Anders als bei der EuEheVO bzw. Brüssel IIb-VO, die in allen EU-Mitgliedstaaten außer Dänemark gilt, nehmen an der Rom III-VO im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit, die mit dem Vertrag von Amsterdam eingeführt worden war (Art. 20 EU-Vertrag, Art. 326 AEU-Vertrag), und eine abgestufte Integration auf der Ebene des EU-Sekundärrechts erlaubt, bisher nur 17 der 27 EU-Mitgliedstaaten teil. Von Anfang an dabei waren z. B. Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und Österreich.
Außerdem bezieht sie sich ausschließlich auf Ehescheidungen bzw. Trennungen ohne Auflösung des Ehebandes ("Trennung von Tisch und Bett"), während die EuEheVO zusätzlich, wie schon ihr Titel zeigt, für "Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen" gilt.
Ob die teilnehmenden Mitgliedstaaten die Rom III-VO auch auf die Scheidung gleichgeschlechtlicher Ehen anwenden wollen, bleibt ihnen überlassen, es ist kein Zufall, dass die Verordnung den Begriff "Ehe" nicht definiert. Deutschland hat sich entschieden, sie entsprechend anzuwenden (Art. 17b Abs. 4 EGBGB).
Auf Privatscheidungen ist sie nicht unmittelbar anwendbar (EuGH, 20.12.2017, C-372/16), Deutschland hat sich auch hier für eine entsprechende Anwendung entschieden, diese aber dort modifiziert, wo die Vorschriften der Rom III-VO eine gerichtliche Scheidung voraussetzen (Art. 17 Abs. 2 EGBGB).
Ebenso wie die EuEheVO wird auch die Rom III-VO in Deutschland universell angewendet (Art. 4 Rom III-VO). Aus Sicht der deutschen Gerichte spielt es also keine Rolle, ob das im Einzelfall anzuwendende Scheidungsrecht das eines teilnehmenden EU-Mitgliedstaats, eines nicht teilnehmenden EU-Mitgliedstaats (z. B. Niederlande) oder das eines Drittstaats wie z. B. der Schweiz ist. Sie könnten also eine "Scheidung auf gemeinsames Begehren" nach Art. 111 Schweizerisches Zivilgesetzbuch aussprechen.
Bei der Bestimmung des maßgeblichen Scheidungsrechts ist zunächst zu fragen, ob die Ehegatten eine Rechtswahl getroffen haben oder nicht. In der Praxis überwiegen die Fälle, in denen das jedenfalls bis zur Einleitung des Scheidungsverfahrens nicht geschehen ist, deshalb soll hier mit dieser Konstellation begonnen werden:
a) Scheidungsverfahren ohne Rechtswahl
Art. 8 Rom III-VO enthält hierfür (anders als Art. 3 EuEheVO für die internationale Zuständigkeit) keine gleichrangingen Anknüpfungspunkte, sondern eine Anknüpfungsleiter, die eine feste Prüfungsreihenfolge vorgibt: die Regelungen der jeweils nachfolgenden Stufen gelten nur, wenn die vorrangigen nicht zutreffen.
Stufe 1: Leben die Ehegatten zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts beide in demselben Staat, so ist das Recht dieses Staats anzuwenden (Art. 8 lit. a Rom III-VO).
Beispiel 1: Beide Ehegatten besitzen die österreichische Staatsangehörigkeit, beide leben in Deutschland - für sie gilt deutsches Scheidungsrecht, es kommt also nur darauf an, ob ihre Ehe "gescheitert" ist, das ist sie, wenn nicht zu erwarten ist, dass sie die eheliche Lebensgemeinschaft wiederherstellen (§ 1565 Abs. 1 BGB).
Eine streitige Scheidung aus Verschulden, wie sie das österreichische Ehegesetz kennt und bei der ein Gericht prüfen müsste, ob die "schwere Eheverfehlung" des einen Ehegatten zu einer tiefen Zerrüttung der Ehe geführt hat (§ 49 EheG), gibt es im deutschen Scheidungsrecht seit 01.07.1977 nicht mehr.
Beispiel 2: Beide Ehegatten besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit und leben auch nach ihrer Trennung in der Schweiz. Sie könnten nach Art. 3 lit. b EuEheVO aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit bei einem deutschen Gericht die Scheidung beantragen, dieses müsste aber Schweizer Scheidungsrecht anwenden.
Stufe 2: Die Scheidungsvoraussetzungen richten sich nach dem Recht des Staates, in dem die Ehegatten bis zu ihrer Trennung ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatten, sofern einer von ihnen dort noch lebt und der andere diesen Staat vor nicht mehr als einem Jahr verlassen hat (Art. 8 lit. b Rom III-VO).
Beispiel: Beide Ehegatten besitzen die österreichische Staatsangehörigkeit, beide lebten bis zur Trennung in Deutschland, er ist anschließend nach Österreich zurückgekehrt, sie ist in Deutschland geblieben und reicht dort die Scheidung ein. Es ist deutsches Scheidungsrecht anwenden, wenn zwischen dem Fortzug des Ehemannes und dem Eingang des Antrags beim Familiengericht eine Zeitspanne von weniger als einem Jahr liegt, andernfalls gilt österreichisches Scheidungsrecht.
Tipp: Die in Deutschland verbliebene österreichische Ehefrau sollte den Antrag vor Ablauf des deutschen Trennungsjahres (§ 1566 Abs. 1 BGB) einreichen, um sich die Anwendung des deutschen Rechts zu sichern. Danach reicht es, wenn das Trennungsjahr zumindest am Tag des Gerichtstermins abgelaufen ist.
Stufe 3: Besitzen die Ehegatten bei Einreichung des Scheidungsantrags eine gemeinsame Staatsangehörigkeit, so gilt das Recht dieses Staates (Art. 8 lit. c Rom III-VO).
Wobei hier eine Einschränkung besteht: Besitzen die Ehegatten mehrere Staatsangehörigkeiten, zählt jeweils nur die "effektive", also die des Staates, dem der jeweilige Ehegatte am engsten verbunden ist. Nur wenn die effektiven Staatsangehörigkeiten beider Ehegatten übereinstimmen, ist Art. 8 lit. c Rom III-VO anwendbar.
Stufe 4: Sind die Voraussetzungen der ersten drei Stufen nicht erfüllt, gilt das Recht des Staates des angerufenen Gerichts (Art. 8 lit. d Rom III-VO), z. B. wenn die Ehegatten seit mehr als einem Jahr in unterschiedlichen Staaten leben und sie keine effektive gemeinsame Staatsangehörigkeit besitzen.
b) Scheidungsverfahren mit Rechtswahl
Die Ehegatten können in bestimmten Grenzen wählen, welches Scheidungsrecht für sie gelten soll, Art. 5 Abs. 1 Rom III-VO bietet ihnen vier gleichrangige Alternativen.
Gewählt werden kann nur staatliches Scheidungsrecht, also z. B. nicht religiöses, und immer nur das im Scheidungsfall aktuell geltende Recht, nicht das einer früheren Zeit.
Außerdem muss die Ehe eine "Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen" (Art. 1 Abs. 1 Rom III-VO), etwa weil die Ehegatten verschiedene oder womöglich mehrere Staatsangehörigkeiten besitzen, sie zeitweise in verschiedenen Staaten lebten oder dies zumindest für die Zukunft planen.
Wegen der universellen Anwendung kommt es nicht darauf an, ob sie das Recht eines Rom III-Mitgliedstaates, eines anderen EU-Mitgliedstaates oder eines Drittstaates wählen.
Beispiel 1: Sie können das Recht des Staates wählen, in dem beide zum Zeitpunkt der Rechtswahl ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (Art. 5 Abs. 1 lit. a Rom III-VO).
Beispiel 2: Ebenso lässt sich das Recht des Staates wählen, in dem beide zuletzt ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, sofern einer von ihnen zum Zeitpunkt der Rechtswahl dort weiterhin seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, also nicht zwischenzeitlich in einem anderen Staat lebte (Art. 5 Abs. 1 lit. b Rom III-VO).
Beispiel 3: Zur Wahl steht auch das Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl besitzt (Art. 5 Abs. 1 lit. c Rom III-VO), bei Mehrstaatern muss dies - anders als bei Art. 8 lit. c Rom III-VO - nicht die effektive Staatangehörigkeit sein.
Beispiel 4: Schließlich lässt sich auch das Recht des Staates des für die Scheidung angerufenen Gerichts wählen (Art. 5 Abs. 1 lit. d Rom III-VO).
c) Wann sich eine Rechtswahl empfiehlt
Sollten Ehegatten das für ihre Scheidung geltende Recht nicht selbst bestimmt haben, und das Scheidungsverfahren in einem der 17 Staaten durchgeführt werden, deren Gerichte die Rom III-VO anwenden, wie z. B. Deutschland, Luxemburg oder Österreich, wird das anzuwendende Recht nach Art. 8 Rom III-VO bestimmt.
Die dortige Prüfungsreihenfolge ist rigide, es ist immer bei Stufe 1 zu beginnen, und wenn die dortigen Voraussetzungen erfüllt sind, die Prüfung abzubrechen. Stufe 1 stellt auf den aktuellen Aufenthalt beider Ehegatten ab. Das kann bei Expats, die aus beruflichen Gründen in einer für sie fremden Rechtskultur leben, zu Überraschungen führen.
Beispiel: Die Ehegatten besitzen beide die deutsche Staatsangehörigkeit und leben in einem Staat mit einem islamisch geprägten Eherecht, das eine Zivilehe womöglich nicht kennt oder Scheidungsanträge von Frauen nur eingeschränkt zulässt. Sie könnten aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nach Art. 3 lit. b EuEheVO in Deutschland die Scheidung einreichen, in dem Fall beim Amtsgericht Schöneberg in Berlin (§ 122 Nr. 7 FamFG), das Gericht müsste aber das ausländische, vom Islam geprägte Recht anwenden.
Wer so etwas vermeiden möchte, sollte mit seinem Ehegatten rechtzeitig über die Vereinbarung eines für beide Seiten passenden Scheidungsrechts sprechen.
Die Ehegatten hätten in dem Beispielsfall die Möglichkeit, gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. d Rom III-VO das Recht des Staates des angerufenen Gerichts, also deutsches Recht zu wählen.
Damit könnten sie zusätzlich einen Gleichlauf zwischen der internationalen Zuständigkeit und dem anwendbaren Scheidungsrecht herbeiführen. Wenn das Gericht das eigene, ihm vertraute Recht anwenden kann, erspart dies den Ehegatten viel Zeit und Kosten, weil das Gericht z. B. nicht erst ein Gutachten zum islamischen Recht einholen muss.
d) Formgültigkeit der Rechtswahl
Die Vereinbarung muss schriftlich erfolgen, sie muss das Datum ihrer Errichtung erkennen lassen und sie muss grundsätzlich von beiden Ehegatten unterschrieben werden.
Nach Art. 7 Abs. 1 Satz 2 Rom III-VO sind aber auch "elektronische Übermittlungen" zulässig, sofern sie eine dauerhafte Aufzeichnung ermöglichen, was bei E-Mails der Fall ist. Eine einheitliche Urkunde ist nicht erforderlich, es genügen getrennte Schreiben (E-Mails, Telefaxe, Briefe), soweit sie klar aufeinander bezogen sind.
Es kann aber sein, dass im Einzelfall strengere Formvorschriften gelten, das hängt davon ab, wo sich die Ehegatten aktuell aufhalten:
Sollten beide Ehegatten in Deutschland leben, muss die Vereinbarung von einem Notar beurkundet werden (Art. 7 Abs. 2 Rom III-VO, Art. 46e Abs. 1 EGBGB), jedenfalls solange das Scheidungsverfahren noch nicht begonnen hat. Selbst verfasste Schriftstücke, E-Mails usw. würden somit nicht reichen.
Während eines in Deutschland laufenden Scheidungsverfahrens hätten es die Ehegatten leichter, sie müssten nicht zum Notar, sondern könnten das Gericht bitten, die Rechtswahl z. B. während eines Gerichtstermins zu protokollieren, sofern beide einen eigenen Rechtsanwalt haben (Art. 46e Abs. 2 EGBGB, § 127a BGB, § 114 FamFG).
Sollten beide Ehegatten in einem Staat leben, der nicht an der Rom III-VO teilnimmt, z. B. in der Schweiz, dann bleibt es bei den eingangs beschriebenen Grundvoraussetzungen, die Ehegatten könnten die Rechtswahl auch ohne Notar oder Gericht treffen, selbst durch Austausch von E-Mails usw.
Rechtsanwalt Lars Finke, LL.M., Fachanwalt für Familienrecht, Mülheimer Str. 85, 47058 Duisburg (Stadtteil Duissern)