BEM = betriebliches Eingliederungsmanagement

Wer als Arbeitgeber einem häufig oder dauerhaft erkrankten Arbeitnehmer kündigen möchte, muss im Kündigungsschutzprozess darlegen, dass die Kündigung verhältnismäßig war. Verhältnismäßig bedeutet, es darf kein milderes Mittel gegeben haben, der Ausspruch der krankheitsbedingten Kündigung muss unausweichlich gewesen sein.

Das fällt dem Arbeitgeber leichter, wenn er zuvor nach Alternativen gesucht hat, zum Beispiel im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM).

1) Pflicht für den Arbeitgeber, nicht den Arbeitnehmer

Grundlage ist § 167 SGB IX, die Norm trägt den Titel "Prävention" und ist ausdrücklich an den Arbeitgeber adressiert, das zeigt schon der Anfang des Absatzes 1:

"Der Arbeitgeber schaltet bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und die in § 176 genannten Vertretungen sowie das Integrationsamt ein, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann."

Von "betrieblichem Eingliederungsmanagement" ist hier noch nicht die Rede, auch nicht von Arbeitsunfähigkeit oder vielen Fehlzeiten, sondern von "Schwerbehindertenvertretung" und "Integrationsamt". Das hat mit der Entstehungsgeschichte der Norm zu tun, die am 01.10.2000 als § 14c des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) in Kraft trat.

Die damalige rot-grüne Bundesregierung hatte sich im Koalitionsvertrag von 1998 das Ziel gesetzt, kurzfristig 50.000 arbeitslose Schwerbehinderte in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren. Gleichzeitig sollte ihr dauerhafter Verbleib im Betrieb gefördert werden, durch Einführung eines Präventionsverfahrens:

Damit bereits beschäftigte Schwerbehinderte ihren Arbeitsplatz möglichst nicht verlieren, sollten Arbeitgeber dazu angehalten werden, bei auftretenden "personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten" nicht gleich an Kündigung zu denken, sondern zunächst das Gespräch mit den "innerbetrieblichen Funktionsträgern" suchen, in erster Linie mit der Schwerbehindertenvertretung und dem Betriebsrat usw., um Möglichkeiten einer Problemlösung zu erörtern (BT-Drs. 14/3372, S. 19).

Auch "außerbetriebliche Stellen" wie Arbeitsämter und Hauptfürsorgestellen (heute: Integrationsämter) sollten bei Bedarf hinzugezogen werden können, um dem Arbeitgeber alle im Einzelfall möglichen Hilfen (Beratung, finanzielle Leistungen) anzubieten, und so eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu gewährleisten.

Dem Gesetzgeber war klar, dass Arbeitgeber dieses neu eingeführte Präventionsverfahren als zusätzliche Belastung empfinden könnten. Deshalb führte er ihnen vor Augen, dass ein solches Verfahren auch zeitliche Vorteile biete, wenn es nicht zu einer Lösung der Schwierigkeiten beitragen sollte:

"Sind all diese Möglichkeiten genutzt worden (und) die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber dennoch nicht mehr zumutbar, wird sich die Verfahrensdauer eines eingeleiteten Kündigungsschutzverfahrens bis zur Entscheidung der Hauptfürsorgestelle (heute: des Integrationsamtes) gegenüber der Monatsfrist des § 18 Abs. 1 SchwbG (heute: § 171 Abs. 1 SGB IX) erheblich verkürzen und die Hauptfürsorgestelle in der Regel einer Kündigung zustimmen."

Damit war bereits etwas angedeutet, was auch heute im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements durchaus passieren kann: dass die dort gewonnenen Erkenntnisse es dem Arbeitgeber anschließend leichter machen, einer krankheitsbedingten Kündigung zum Erfolg zu verhelfen.

Nur wenige Monate nach Inkrafttreten des § 14c SchwbG wurde das gesamte Schwerbehindertengesetz in das neue Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) überführt.

Gleichzeitig wurde die jetzt in § 84 SGB IX enthaltene "Prävention" um einen Absatz 2 ergänzt, wonach die Schwerbehindertenvertretung auch dann eingeschaltet werden musste, wenn "ein schwerbehinderter Mensch länger als drei Monate ununterbrochen arbeitsunfähig" war. Es sollte nicht bis zum Auftreten von Schwierigkeiten gewartet werden, sondern "frühzeitig möglichen Gefährdungen des Arbeitsverhältnisses aus gesundheitlichen Gründen begegnet werden können" (BT-Drs. 14/5074, S. 113).

Im Fokus stand weiterhin die Behinderung, erfasst werden sollten neben den schwerbehinderten nun aber zusätzlich die "behinderten oder von Behinderung bedrohten Menschen".

Neu war auch das Erfordernis der Zustimmung, der behinderte Mensch bekam also ein Vetorecht. Gegen seinen Willen konnte der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung weiterhin nur bei bereits aufgetretenen "personen- verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten" (Absatz 1) einschalten, nicht aber bei einem bloßen Überschreiten der im neuen § 84 Abs. 2 SGB IX eingeführten Grenze von dreimonatiger ununterbrochener Arbeitsunfähigkeit.

Dass der behinderte Mensch nicht nur zustimmen musste, sondern am Präventionsverfahren auch zu beteiligen ist, davon war damals noch nicht die Rede.

Das änderte sich zum 01.01.2003 mit einem Gesetz zur Förderung schwerbehinderter Menschen, das den damaligen § 84 Abs. 2 SGB IX erweiterte:

Nun stand nicht mehr der behinderte Mensch im Zentrum, angesprochen wurde fortan jeder "Beschäftigte". Dieser musste auch nicht mehr drei Monate am Stück arbeitsunfähig gewesen sein. Das im Gesetz jetzt ausdrücklich so bezeichnete "betriebliche Eingliederungsmanagement" sollte vom Arbeitgeber bereits dann eingeleitet werden müssen, wenn ein Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen entweder ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig war.

Das Initiativrecht lag weiterhin beim Arbeitgeber, er konnte nun aber ausdrücklich zum Tätigwerden aufgefordert werden, zum Beispiel vom Betriebsrat oder Personalrat.

Während es anfänglich - bei Einführung des § 14c SchwbG - um die Integration von Schwerbehinderten in den Arbeitsmarkt ging, sollten nun jedes krankheitsbedingte Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis, etwa durch eine arbeitgeberseitige krankheitsbedingte Kündigung, nach Möglichkeit vermieden werden:

"Viele Abgänge in die Arbeitslosigkeit erfolgen immer noch aus Krankheitsgründen. Auch werden die Integrationsämter vor Beantragung einer Zustimmung zur Kündigung zu wenig eingeschaltet, damit rechtzeitig präventive Maßnahmen ergriffen werden können. Die Regelung verschafft der Gesundheitsprävention am Arbeitsplatz einen stärkeren Stellenwert, indem die Akteure unter Mitwirkung des Betroffenen zur Klärung der zu treffenden Maßnahmen verpflichtet werden" (BT-Drs. 15/1783, S. 16).

a) Nicht nur bei Krankheit, nicht nur bei Kündigung

Wann immer es Schwierigkeiten im Betrieb gibt, die zur Gefährdung eines Arbeitsverhältnisses führen können, sollen die Beteiligten möglichst schnell an einen Tisch.

Selbst wenn der Arbeitgeber keine Kündigung beabsichtigt, etwa weil ihn das dauerhafte Fehlen eines Arbeitnehmers inzwischen nicht mehr stört, soll er tätig werden.

Die Pflicht trifft alle Arbeitgeber, auch Kleinbetrieben, die nicht unter das Kündigungsschutzgesetz fallen (§ 23 KSchG), in denen also leichter gekündigt werden kann.

Ein BEM ist selbst bei den Arbeitnehmern einzuleiten, die in den ersten sechs Monaten ihres Arbeitsverhältnisses krank werden, also in der Wartezeit (§ 1 Abs. 1 KSchG), in der man auch in Betrieben mit mehr als zehn Arbeitnehmern, in denen das Kündigungsschutzgesetz gilt, noch keinen Kündigungsschutz hat.

b) Wer etwas zur Lösung beitragen kann, ist zu beteiligen

Das Gesetz zählt eine Reihe von Institutionen auf, die mit am Tisch sitzen sollen: Betriebsräte, Personalräte, die Vertretungen der Schwerbehinderten, Werks- und Betriebsärzte, und mit den kommunalen oder staatlichen Integrationsämtern und den Rehabilitationsträgern sogar betriebsfremde Einrichtungen.

c) Einheitliches Ziel: Erhalt des Arbeitsverhältnisses

Das Gesetz schreibt keine konkreten Maßnahmen vor, das wäre auch nicht möglich, weil es in jedem Arbeitsverhältnis ganz individuelle Probleme geben kann. Nur das Ergebnis, das mit dem BEM angestrebt werden soll, das steht fest: das "notleidende" Arbeitsverhältnis soll möglichst dauerhaft fortgesetzt werden können.

2) Hauptanwendungsfall: Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit

Wie oben gezeigt, kann ein BEM bei Schwierigkeiten aller Art eingeleitet werden, egal ob personen-, verhaltens- oder betriebsbedingt.

In § 167 Abs. 2 SGB IX wird das Gesetz konkreter, und es wird klarer, warum von "betrieblichem Eingliederungsmanagement" gesprochen wird: es sollen die eingegliedert werden, die bereits ein Stück weit aus dem Betrieb und seinen Arbeitsabläufen herausgefallen sind, durch lange oder häufige Fehlzeiten:

"Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber (...), wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden (und) wie erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement)."

Der Arbeitgeber soll also recht früh tätig werden, nämlich sobald ein Arbeitnehmer mehr als sechs Wochen wegen Arbeitsunfähigkeit gefehlt hat, innerhalb eines Jahres.

Mit "Jahr" ist anders als beim Urlaub nicht das aktuelle Kalenderjahr gemeint, es können z. B. auch die zwölf Monate von März 2023 bis Februar 2024 sein.

Es muss nicht die eine sehr lange Erkrankung sein, die sich über mehr als sechs Wochen hinzieht, auch bei einer Vielzahl von Kurzerkrankungen, die für sich betrachtet vielleicht nicht auffällig waren (hier mal ein Tag, da mal zwei, drei Tage), kann die 6-Wochen-Grenze schnell überschritten werden. Der Arbeitgeber soll auch nicht erst ein Jahr abwarten und erst dann die Fehltage zusammenrechnen. Er soll tätig werden, sobald es z. B. bei einer 5-Tage-Woche insgesamt 30 Fehltage sind.

3) Kann der Arbeitnehmer dem BEM widersprechen?

Ein klares "Ja"! Keiner ist zur Teilnahme verpflichtet, und es geht sogar noch weiter: ein BEM ohne Zustimmung und ohne Beteiligung des Arbeitnehmers wäre rechtswidrig.

Mit anderen Worten: Der Arbeitgeber benötigt die ausdrückliche Bereitschaft des Arbeitsnehmers, und er muss ihn zuvor ausführlich informieren, über die Ziele eines BEM, über seine Mitspracherechte als Arbeitnehmer, und die Art und den Umfang "der hierfür erhobenen und verwendeten Daten" (§ 167 Abs. 2 Satz 4 SGB IX).

Sollte man als Arbeitnehmer am BEM teilnehmen? Die Frage ist nicht pauschal zu beantworten. Das BEM ist ein "rechtlich regulierter verlaufs- und ergebnisoffener 'Suchprozess', der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll", wie es gerne heißt (BAG, 20.11.2014, 2 AZR 755/13).

Ein solcher "verlaufs- und ergebnisoffener Suchprozess" macht vielen Angst. Schließlich werden hier nicht nur Arbeitsplatz und Arbeitsbedingungen unter die Lupe genommen, von einer Vielzahl von Beteiligten, sondern in erster Linie Person und Gesundheit des betroffenen Arbeitnehmers. Wer über Rückenprobleme klagt, tut sich leichter, hiervon zu berichten, und hofft vielleicht auf eine Versetzung auf einen angenehmeren Arbeitsplatz. Wer psychische Beschwerden hat, möchte sich vielleicht gegenüber einem Therapeuten öffnen, aber in der Regel nicht vor einem "Human Ressource Manager" des eigenen Arbeitgebers, der in erster Linie auf die Kosten schaut.

4) Taktische Bedeutung des BEM für den Arbeitgeber

Das BEM soll das Arbeitsverhältnis des erkrankten Arbeitnehmers schützen, in der Praxis dient es aber inzwischen häufig eher den Interessen des Arbeitgebers:

Das Gesetz sieht keine Sanktionen gegenüber dem Arbeitgeber vor, der kein BEM durchführt und z. B. direkt eine krankheitsbedingte Kündigung ausspricht. Eine solche Kündigung ist nicht von vornherein unwirksam, sie ist und bleibt wirksam, wenn sie z. B. nicht fristgerecht angegriffen wird (Klagefrist: drei Wochen, § 4 KSchG).

Erhebt der Arbeitnehmer rechtzeitig Kündigungsschutzklage, verbessert der Arbeitgeber seine Erfolgsaussichten im Prozess, wenn er den Arbeitnehmer "zuvor regelkonform um Zustimmung zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ersucht hat", wie es in einem Urteil des BAG von 2019 heißt.

Dort hatte eine Fluggesellschaft einer Flugbegleiterin gekündigt, weil die fliegerärztliche Sachverständige festgestellt hatte, dass sie nicht mehr flugtauglich war. Sie hatte wiederholt krankheitsbedingt gefehlt, zuletzt über mehrere Monate - und sie hatte von sich aus einem BEM ausdrücklich widersprochen.

Die Fluggesellschaft nahm deshalb an, kein BEM einleiten zu können, mangels Bereitschaft der Arbeitnehmerin. Das Gericht sah es anders: es sei Sache des Arbeitgebers, initiativ zu werden und den Arbeitnehmer umfassend zu informieren. Die Fluggesellschaft hatte durchblicken lassen, dass es wohl die geplante Teilnahme der Personalvertretung war, die für die Flugbegleiterin inakzeptabel war. Das Gericht stellte daraufhin fest, der Arbeitgeber habe versäumt, die Arbeitnehmerin darauf hinzuweisen, dass sie ihre Zustimmung zum BEM an die Bedingung knüpfen könne, dass die Personalvertretung in ihrem Fall außen vor bleibe, also nicht mit am Tisch sitze.

Es half der Flugbegleiterin, dass sie gegenüber der Fluggesellschaft angeregt hatte, sie zukünftig wieder im Bodendienst einzusetzen. Für das Bundesarbeitsgericht war eine solche alternative Beschäftigungsmöglichkeit ein "milderes Mittel", das Vorrang habe vor einer krankheitsbedingten Kündigung.

Weil der Arbeitgeber kein BEM eingeleitet hatte, habe er seine "erweiterte Darlegungslast" nicht erfüllt, er habe nicht darlegen können, dass sich im Rahmen eines ordnungsgemäß durchgeführten BEM keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit hätte finden lassen (BAG, 17.04.2019, 7 AZR 292/17).

Das erklärt übrigens, weshalb viele Arbeitgeber inzwischen mehrseitige Einladungsschreiben mit umfangreicher Aufklärung verschicken. Erfüllen sie diese formalen Anforderungen, können sie sich im anschließenden Kündigungsschutzprozess erst einmal zurücklehnen. Sie können behaupten, eine andere Beschäftigungsmöglichkeit gebe es im Betrieb nicht, ein BEM sei vom gekündigten Arbeitnehmer abgelehnt worden. Die Arbeitsgerichte geben ihnen dann häufig recht (BAG, 13.05.2015, 2 AZR 565/14):

"Stimmt der Arbeitnehmer trotz ordnungsgemäßer Aufklärung nicht zu, ist das Unterlassen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements unschädlich."

Für Arbeitnehmer ist es oft nicht möglich, sich in diesem taktischen Dickicht zurechtzufinden. Deshalb sollte sich jeder, der schon länger oder wiederholt arbeitsunfähig ist und ein BEM-Einladungsschreiben von seinem Arbeitgeber erhält, rechtzeitig von einem Fachanwalt für Arbeitsrecht beraten lassen.

Rechtsanwalt Lars Finke, LL.M., Fachanwalt für Arbeitsrecht, Mülheimer Str. 85, 47058 Duisburg (Stadtteil Duissern)